Gesammelt um jeden Preis!

Warum Objekte durch den Nationalsozialismus ins Museum kamen und wie wir damit umgehen

Sa, 22.04.2023 – So, 26.11.2023
Provenienzforschung und Restitution kann man nicht ausstellen?! Wir tun es trotzdem! Die Ausstellung handelt von NS-Raub, Recht und Rückgabe. Sie stellt die Erforschung des Erwerbs und der Herkunft von Dingen im Museum vor und geht deren Verbleibsgeschichten bis heute nach. Erstmals werden die komplexen Abläufe der NS-Provenienzforschung und Restitution in Österreich einer breiten Öffentlichkeit in einer Ausstellung gezeigt. Im Zentrum steht die umfangreiche Sammlung Mautner, die vom Volkskundemuseum Wien an die rechtmäßigen Eigentümer*innen zurückgegeben wurde.
Dinge kommen auf unterschiedliche Weise in öffentliche und private Sammlungen. Auch im Volkskundemuseum befinden sich Objekte, die dort nicht hingehören, weil sie ihren Eigentümer*innen abgepresst, geraubt oder aufgrund (rassistischer) Gesetze abgenommen wurden. In dieser Ausstellung verfolgen wir den Ablauf von der Beschaffung unter dem NS-Regime, über die museale Nutzung bis hin zur Rückgabe von Objekten. Dabei rücken die Beziehungen in den Vordergrund, die über Objekte entstehen und die sich im Laufe der Zeit unterschiedlich gestalten und auswirken. Besonders deutlich wird dies anhand der Sammlung Mautner, die nach der Restitution dem Volkskundemuseum Wien großteils geschenkt wurde. Die Sammlung steht für die engen Verflechtungen der Familie Mautner mit dem Museum seit dessen Gründung und seinen Akteur*innen.

Der Sammlungsentwicklung liegen maßgeblich Gesetze, Verwaltungsverordnungen und Vereinbarungen zu Grunde, die das Ergebnis von politischen, ideologischen und sozialen Prozessen sind. Sie haben den heutigen Umfang der Sammlungen im Volkskundemuseum Wien entscheidend beeinflusst. Gleichzeitig haben sie im NS-System über das Schicksal der Eigentümer*innen bestimmt, zur Flucht gezwungen, Besitz, Existenzen und unzählige Leben geraubt. Nach der NS-Zeit haben unter internationalem Druck erlassene Gesetze die „Wiedergutmachung“ und die Rückgabe von unrechtmäßig erworbenen Gütern geregelt. Erst 1998, also vor 25 Jahren, sah sich die Republik Österreich veranlasst, mit dem Erlass des Kunstrückgabegesetzes die Grundlage für künftige Restitutionen von geraubten Objekten aus den Bundessammlungen zu schaffen. Unmittelbarer Anlass dafür war die Beschlagnahme zweier Werke Egon Schieles in New York. Mit der Gründung der Kommission für Provenienzforschung und des Kunstrückgabebeirates wurden die Strukturen für die Rückgabe aus Bundeseigentum geschaffen.
 
Das Volkskundemuseum Wien verpflichtete sich 2015 freiwillig dazu, nach dem Kunstrückgabegesetz zu agieren. Wie auch andere private Institutionen ist es dazu rechtlich nicht verpflichtet. Als Folge dessen wurde die Sammlung Mautner restituiert.

Was macht die Sammlung Mautner so besonders?
Seit der Frühzeit des Museums haben sich Mitglieder der großbürgerlichen Textilindustriellenfamilie Mautner in unterschiedlichen Funktionen, finanziell und mit Objektspenden hier eingebracht. Durch gemeinsame Forschungsinteressen und patriotische Zielsetzungen waren sie dem Fach der damals aufstrebenden Volkskunde in Museum, Verein und heimatkultureller Praxis verbunden. Die Volkskunde trat damals mit der Idee an, Gegenstände und Praktiken vor Industrialisierung und Urbanisierung zu bewahren und in weiterer Folge zu verbessern oder gar neu zu gestalten. Gerade das umfangreiche Sammeln und Forschen von Konrad Mautner (1880-1924) und die praktische Umsetzung in der Trachtenerneuerung durch Anna Mautner (1879-1961) zeugen davon. Ab 1938 wurden Anna und andere Mitglieder der Familie Mautner durch die rassistischen Nürnberger Gesetze als jüdisch verfolgt, und sie mussten flüchten. Auf Initiative des Museums wurden die in Wien befindlichen Teile ihrer Privatsammlung beschlagnahmt, dorthin gebracht und weit unter Wert vom damaligen Direktor Arthur Haberlandt angekauft. Darunter befanden sich Forschungsunterlagen, Bekleidung und Trachtenabbildungen, Schützenscheiben, Liedtexte, Möbel, Pfeifen und Pfeifenköpfe, Fotografien vom „Volksleben“ vor allem im Salzkammergut und anderes. Die Objekte dieses Bestandes wurden immer wieder unhinterfragt in zentralen Ausstellungen und Publikationen genutzt.

In den 2010er Jahren kam es im Team des Volkskundemuseums zu einem Umdenken hinsichtlich der belasteten Vergangenheit der eigenen Institution und der problematischen Erwerbsgeschichten von vielen Objekten. Um nicht mehr von Unrecht zu profitieren, entschloss sich der Trägerverein des Museums zur Provenienzforschung und zur Restitution im Sinne des Kunstrückgabegesetzes in Kooperation mit der Kommission für Provenienzforschung.

Diese Ausstellung entspringt dem ausdrücklichen Wunsch der Erb*innen Anna Mautners, die Sammlung nach der Schenkung weiterhin der Öffentlichkeit und der Wissenschaft zugänglich zu machen. Der restituierte und geschenkte Bestand Mautner wird in seiner Gesamtheit zu sehen sein. Diese rund 500 Objekte werden kultur- und forschungsgeschichtlich eingeordnet. Als Zielpublikum sehen wir all jene, die sich für die Herkunft von Dingen in Museen und für Provenienzforschung interessieren, Fragen dazu haben oder sich beruflich damit auseinandersetzen. Ein umfassendes Vermittlungs- und Begleitprogramm thematisiert außer dem NS-Kontext auch andere Umstände gewaltvoller Objektakquise, wie sie in kolonialen Zusammenhängen oder in Kriegen, beispielsweise jenem gegen die Ukraine, stattfinden.

Ehrenschutz: Bundespräsident Alexander Van der Bellen

Ausstellung in Kooperation mit



Gefördert durch




Folder zur Ausstellung

Der Katalog zur Ausstellung ist im SchönDing Shop zu erwerben oder über das Museum zu beziehen:
buchbestellung@volkskundemuseum.at

Virtuelle Galerie zur Provenienzforschung: Ein Museum – ein Objekt – eine Erzählung
In einem Vorprojekt sammelte das Volkskundemuseum Wien Beiträge von allen zur Restitution verpflichteten Bundesinstitutionen. Die virtuelle Galerie ist online abrufbar und wird in der Ausstellung verfügbar sein.
www.vgprovenanceresearch.at


BEGLEITPROGRAMM
Es spricht u.a. Stephen Mautner

Finissage mit Präsentation der Online-Publikation
Collected At Any Cost!
Do, 23.11.2023, 18.00 Uhr

Sonntagsführungen an ausgewählten Sonntagen mit dem Team der Kulturvermittlung
So, 11.6.2023, 15.00 Uhr
So, 24.9.2023, 14.00, 15.00, 16.00 Uhr: Kunstrückgabe und Denkmalschutz (Tag des Denkmals)
So, 15.10.2023, 15.00 Uhr

Kuratorinnenführung
Displayführung mit den Gestalter*innen
Do, 7.9.2023, 18.00 Uhr

Führungen durch die Ausstellung mit dem Team der Kulturvermittlung
Zur Buchung für Gruppen (Erwachsene)
Zur Buchung für Schulklassen

Alle Führungen: Eintritt + € 4,- Führungstarif

 
Museum Nordwestbahnhof
Führung mit Schwerpunkt auf NS-Infrastruktur und Logistik von geraubten Dingen.
Treffpunkt: Nordwestbahnhof
Kosten: freiwillige Spende
 
Kombi-Führung mit dem Belvedere
14.00 Uhr Führung im Volkskundemuseum
16.30 Uhr Führung im Belvedere
Wie gehen Museen mit ihrer NS-Vergangenheit um? Zunächst Führung in der Ausstellung Gesammelt um jeden Preis! im Volkskundemuseum. Anschließend in der Ausstellung 300 Jahre Belvedere, der Fokus dieser Führung liegt auf der NS-Zeit. Die Führungen können separat besucht werden.
 
Einführung für Pädagog*innen
Teilnahme kostenlos

Stadtspaziergang
Josefstadt queer
Queerer Stadtspaziergang zum Thema Verfolgung von Homosexuellen und Trans*Personen im NS-Regime mit Andreas Brunner von Qwien. Die Route führt durch den 8. und 9. Bezirk.
Dauer: 2 Stunden
Start und Ziel: Volkskundemuseum
 
Exkursion mit dem Verein für Volkskunde
Auf den Spuren jüdischer Sammler*innen in Niederösterreich
Nach einem Besuch des Stadtmuseums Neunkirchen, gegründet von Heinrich Moses, der viele niederösterreichische Objekte an das Volkskundemuseum brachte, geht es weiter nach Trattenbach zur ehemaligen Textilfabrik der Familie Mautner. Abschließend Besuch des Wittgensteinmuseums in Trattenbach.
Abfahrt: 8.30 Uhr Friedrich-Schmidt-Platz 1, beim Rathaus
 
Exkursion mit dem Verein für Volkskunde
Museum Marienthal
Führung durch die ehemalige Textilfabrik in Gramatneusiedl, die in den 1920er Jahren im Besitz der Familie Mautner war. Bekannt geworden ist die Fabrik durch die Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“.
Treffpunkt: 13.45 Uhr, Bahnhof Gramatneusiedl
 
Stadtspaziergang
Wissensproduktion in kolonialen Kontexten
Kurzer Ausstellungsrundgang und anschließend Stadtspaziergang mit Marcela Torres und Petz Haselmayer vom Kollektiv Decolonizing in Vienna!
Dauer: 2 Stunden
Start und Ziel: Volkskundemuseum
Kosten: € 4,-
 
Buchpräsentation
Katalog zur Ausstellung
Die Autor*innen stellen die Publikation zur Ausstellung vor.
Eintritt frei
 
Gespräch
Finden – Suchen – Aneignen
Woher stammen Objekte in Sammlungen und Museen? Podiumsdiskussion mit der Ostasienexpertin Bettina Zorn (Weltmuseum Wien) und Negin Rezaie, Kuratorin von Die Küsten Österreichs sowie mit den Kuratorinnen der Ausstellung.
Eintritt frei
 
Exkursion mit dem Verein für Volkskunde
Familie Mautner in Pötzleinsdorf
Spaziergang mit der Buchautorin Marie-Theres Arnbom durch Pötzleinsdorf. Anschließend Führung im Geymüllerschlössl mit einem Schwerpunkt zu Familie Mautner.
Treffpunkt: Endstation Straßenbahn 41, Pötzleinsdorf
 
Film und Gespräch
Die Frau in Gold | USA/GB | 2015
Der Film von Simon Curtis erzählt den international viel beachteten Fall von Nazi-Raubkunst. Es geht um das berühmteste Bild von Gustav Klimt, die „Goldene Adele“. Anschließend Expert*innengespräch zu den Hintergründen des im Film thematisierten Falles.
Eintritt frei
 
Speed Dating
Was machen eigentlich Provenienzforscher*innen?
Expert*innen aus verschiedenen Museen stellen ihre Arbeit vor.
Eintritt frei
 

KULTURVERMITTLUNG
 
Herkunftsfragen
Wie kamen die ausgestellten Gegenstände ins Museum? Was muss alles getan werden, um sie an die ehemaligen 
Eigentümer*innen zurückgeben zu können?
Im Workshop lernen wir Menschen und ihre Lebensgeschichten kennen, die sich hinter den Objekten verbergen. Wir setzen uns mit dem Thema der systematischen Verfolgung und Beraubung im NS-Regime auseinander. In Kleingruppen befragen wir die Objekte in der Ausstellung nach ihrer Herkunft und gehen den gegenwärtigen Abläufen der NS-Provenienzforschung und Restitution in Österreich nach.
Workshop ab 12 Jahren
Für Jugendliche ab 15 Jahren wird dieses Programm altersgerecht angepasst
Dauer: 90 Minuten
Kosten: € 4,50 pro Person
Anmeldung für Gruppen und Schulklassen
Information: +43 (0)1 406 89 05.26 oder kulturvermittlung@volkskundemuseum.at


Kuratierung
Kathrin Pallestrang, Magdalena Puchberger, Maria Raid
 
Produktion
Lena Nothdurfter mit den Kuratorinnen
 
Ausstellungsgestaltung
Michael Hieslmair, Michael Zinganel
 
Ausstellungsgrafik
Theresa Hattinger
 
Medienproduktion
althaler + oblasser, Blue Lion Multimedia, Patrick Widhofner-Schmidt, Tart Bt.
 
Technik
Patrick Widhofner-Schmidt, Paul Stöttinger
 
Kulturvermittlung
Katrin Prankl, Katharina Richter-Kovarik
 
Kommunikation
Johanna Amlinger, Gesine Stern
 
Druck- und Werbegrafik
Matthias Klos
 
Lektorat
Margret Haider
 
Übersetzungen
Nick Somers
 
Wir danken dem Team des Museums für das Objekt-Handling und die weitere Unterstützung.

Zum Pressedownload
Weitere Infos zu Provenienzforschung und Restitution am Volkskundemuseum Wien

Volkskundemuseum Wien
Laudongasse 15–19, 1080 Wien
T: +43 1 406 89 05
F: +43 1 406 89 05.88
E: office@volkskundemuseum.at

Hildebrandt Café
T: +43 1 406 89 05.10
E: hi@hildebrandt.cafe
Online Tischreservierung

Öffnungszeiten
Museum:
Di bis So, 10.00 bis 17.00 Uhr
Führungen und Programm: Termine
Bibliothek:
Besuch nach Voranmeldung
SchönDing Shop | Café:
Di bis So, 10.00 bis 17.00 Uhr

Hildebrandt Café:
Di bis So, 10.00 bis 18.00 Uhr
Mostothek:
Di, ab 17.00 Uhr


Eintritt
frei im ganzen Museum