Scherzgefäß (Vexierkrug)


ÖMV/12.413
Trinkrituale im Festtagsbrauch
Das Trinken aus einem Scherzgefäß war ein Geschicklichkeitstest innerhalb einer bestimmten Gemeinschaft und diente der Belustigung. Die dekorative Ausgestaltung lässt erkennen, dass ein sogenannter Vexierkrug ein originelles Schauobjekt bei einer Veranstaltung war und zu den übrigen Zeiten seine ästhetische Wirkung als Raumschmuck entfaltete.

Beschreibung:
Irdenware, beige Scherbenfarbe, frei gedreht. Gewölbter Standboden, verengte Fußzone, kugelbauchiger Körper, stark verengte Halszone, zylindrisch hochgezogen, erweitert und an vier Stellen durchschnitten. Darauf setzt eine rohrartige Randkonstruktion mit vier schräg nach oben gerichteten und gelochten Saugrohren auf. Die Flüssigkeit gelangt durch ein Rohr von der Gefäßinnenseite über den Bandhenkel in den hohlen Rand. Der Bandhenkel besitzt ebenfalls eine Ansaugöffnung und ein Luftloch.
Den Rand des Fußes umläuft eine Leiste aus Fingerdruckmulden, der Gefäßkörper ist in vielfältiger Weise mit Applikationen verziert: eine wellenförmig aufgelegte Schnur, dazwischen drei vom Körper abstehende kegelförmige Applikationen, in Durchbruchstechnik verziert, innen hohl. Darüber drei vollplastische Tonwürste, volutenförmig modelliert und angarniert. Kranzförmig um den Hals aufgebaute Szenerie aus zwei vogelartigen und drei säulenförmigen vollplastischen Elementen, die beiden Vögel scheinen bei der Futteraufnahme zu sein. Das Gefäß ist vollständig mit einer gelbgrün gefärbten Glasur bedeckt.

Geschichte / Museum:
Bosnische Keramik im Volkskundemuseum
Mit der Besetzung des türkischen Bosniens und der Herzegowina durch die österreichisch-ungarische Monarchie im Jahre 1878 wurde der "Orient" zu einem Teil des Vielvölkerstaates. Die bosnische Keramik repräsentiert als Produkt eines islamisch geprägten Volkslebens in einem wirtschaftlich und infrastrukturell rückständigen Land eine gewisse "Exotik", die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als besonders attraktiv galt.
Im Jahre 1897 erhielt das Museum für österreichische Volkskunde eine Objektgruppe als Geschenk der bosnischen Landesregierung (ÖMV/8.869-8.917). Ein zweiter Komplex wurde im Jahre 1901 unter den Nummern ÖMV/12.407-12.455 nachinventarisiert. In beiden Gruppen befinden sich ähnlich gestaltete Vexierkrüge mit gelber und grüner Glasur.

Geschichte / Leben / Kontext:
Vexierkrüge sind eine besondere Form der Scherzgefäße. Es handelt sich dabei um Krugformen mit durchschnittener bzw. durchbrochener Halszone und einer besonders konstruierten Randzone, bestehend aus einem hohlen Henkel, einem rohrartigen Rand und dort angebrachten Saugvorrichtungen. Die Bezeichnung leitet sich aus dem lateinischen Wort "vexare" ab, was plagen, quälen, necken, irreführen bedeutet, und auf die komplizierte Form der Flüssigkeitsentnahme hinweist. Denn ein Vexierkrug ist mit einem versteckten Mechanismus ausgestattet, der ihn zu einem Scherzgefäß macht, bei dem die zum Trinken geeignete Öffnung nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist. Ein Vexierkrug wurde vom Hafner geschaffen, um das Zu-sich-Nehmen von Alkohol zu einem vergnüglichen Trinkerlebnis zu machen. Das Gefäß konnte anlässlich eines rituellen Festbrauchs unter Handwerkern zum Einsatz kommen, oder im Rahmen eines besonderen Festes im Lebenslauf, zum Beispiel einer Hochzeitsfeier.
Das Volkskundemuseum besitzt 23 Vexierkrüge aus der Zeit vom 17. bis in das 20. Jahrhundert. Es sind Gefäße aus Irdenware, überwiegend grün oder braun glasiert, nur vier davon sind Fayencen. Die Vexierkrüge des Museums sind durchwegs Henkelkrüge mit einer ornamental durchschnittenen Halszone. Sie besitzen eine bis mehrere Saugvorrichtungen im Rand (auch Saugnoppen oder Saugwarzen genannt) und einen hohlen rohrförmigen Henkel, durch den die Flüssigkeit vom Boden durch den Henkel in den Rand steigt.
Die regionale Streuung reicht von mehreren Gefäßen aus Niederösterreich, zwei habanisch-slowakischen Fayencen über zwei Gefäße schlesischer Herkunft, Gefäßen aus Oberösterreich, Salzburg, Tirol, der Steiermark bis zu einer Gruppe sehr ähnlich gestalteter Vexierkrüge aus Bosnien. Je südöstlicher die Herkunftsregion, umso kunstvoller werden die Verzierungen.

Claudia Peschel-Wacha
H: 29,5 cm
D: 17 cm
BD: 8,6 cm

(BD = Bodendurchmesser)



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Scherzgefäß (Vexierkrug) - Bild 1
Scherzgefäß (Vexierkrug) - Bild 1
Scherzgefäß (Vexierkrug) - Bild 2
Scherzgefäß (Vexierkrug) - Bild 3
Objekt wird zitiert in
Peschel-Wacha, Claudia. 2007. "Sauf wonnst konnst". Das Rätsel um die Vexierkrüge. In Friederike Lichtwark (Red.). Keramik auf Sonderwegen. 37. Internationales Hafnerei-Symposium, Herne, 19. bis 25. September 2004. Mainz: Philipp von Zabern (= Denkmalpflege und Forschung in Westfalen 44), S. 41-52.
Weiterführende Informationen
Endres, Werner. 1996. Gefäße und Formen. Eine Typologie für Museen und Sammlungen. München: Weltkunst Verlag (= Museums-Bausteine 3), S. 120.

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