Geschichte
Als Kulturinstitution mit Wurzeln im 19. Jahrhundert unterlag das Volkskundemuseum Wien von Beginn an einer stetigen Entwicklung und inhaltlichen Justierung unter den wechselnden kulturpolitischen und fachinternen Voraussetzungen des 20. Jahrhunderts.
"Völkermuseum"
Die ersten Jahrzehnte des Museums standen unter dem Zeichen der österreichisch-ungarischen Monarchie, deren sämtliche Völker "von den Karpaten bis zur Adria" man in den Sammlungen zu repräsentieren suchte. Während die vergleichbaren Museen in Stockholm, Berlin und Budapest und später auch andere ethnographische Museen Europas nationalen Zielsetzungen folgten, sollte das Wiener Museum "so recht im Geiste des österreichischen Staatsgedankens alle Völker und Stämme der Monarchie mit gleicher wissenschaftlicher Liebe umspannen".
Zum Zweck des "ethnographischen Vergleichs" griffen die Sammlungen bald auf weitere europäische Regionen aus und begründeten somit ein frühes Museum einer "europäischen Völkerkunde".
"Ein Aushängeschild des vaterländischen Gedankens"
Das Ende der k. u. k.-Monarchie veränderte langsam auch die inhaltliche Ausrichtung des Museums, Deutsch-Österreich, respektive die „Deutschen Alpenländer“ rückten nun zusehends in den Vordergrund.
Mit der Etablierung des austrofaschistischen „Ständestaates“ 1933/34 orientierten sich die Museumsakteure zum einen an den kulturpolitischen Vorgaben und Zielen einer spezifischen „Österreich“-Ideologie, die Volkskultur und Volkskunst zu offiziellem Anliegen erklärte. Zum anderen fungierte das Museum immer mehr als ideologische und soziale Schnittstelle für ein sich auch in der Stadt etablierendes volkskundliches Feld.
"Volkstummuseum"
Mit dem "Anschluss" Österreichs an das nationalsozialistische "Deutsche Reich" wurde die NS-Volkskunde, wie sie sich in Deutschland seit 1933 etabliert hatte, auch in Österreich zur Hilfswissenschaft des faschistischen Staates. Hand in Hand mit der Verwendbarkeit der Volkskunde für ideologische und machtpolitische Ziele ging das Bestreben vieler Volkskundler und auch Volkskundlerinnen einher, innerhalb des Systems Karriere zu machen.
Der politische Umbruch von 1938 bedeutete sowohl für den Verein für Volkskunde als auch für das Museum eine bruchlose Weiterexistenz und insbesondere die ersten Jahre der NS-Herrschaft bescherten dem Volkskundemuseum vermehrte Aufmerksamkeit und Zuwendungen von Seiten der neuen Machthaber. Arthur Haberlandt, Direktor seit 1924, positionierte das Museum als "Haus des deutschen Volkstums im Donauosten" unter Einbeziehung der von den Nationalsozialisten formulierten und eingeforderten wissenschaftlichen und kulturellen Transformationen.
"Österreichmuseum"
Nach der Ära einer „Deutschen Volkskunde“ während der Zeit des Nationalsozialismus richteten sich die Forschungs- und Ausstellungstätigkeiten der neuen Verantwortlichen in den Jahren nach Kriegsende wieder auf das Österreichische. Eine Aufstellung nach Landschafts- und Sachgruppenräumen diente der Formierung einer identitätsstiftenden österreichischen Volkskultur und der Begegnung mit vornehmlich österreichischer Volkskunst zum Zwecke der „Gesundung“ des österreichischen Volkes.
Die Ausstellungen dieser Zeit führten demnach "österreichisch" oft programmatisch im Titel, Publikationen wie das Nachrichtenblatt "Volkskunde in Österreich" oder die "Österreichische Volkskundliche Bibliographie" und die „Österreichische Zeitschrift für Volkskunde“ setzten nationale und internationale Akzente im Fach.
"Europamuseum"
In den 1970er Jahren entstand aus den ost- und südosteuropäischen Beständen des Museums ein eigenes "Ethnographisches Museum" im burgendländischen Kittsee als Zweigmuseum. Dieses "Fenster nach Osteuropa" musste 2008 wegen mangelnder Finanzierung geschlossen werden.
Ausstellungen im Volkskundemuseum Wien berücksichtigten wieder vermehrt die Sammlungen aus Europa, die 1994 eingerichtete ständige Schausammlung ist ebenfalls einem überregionalen Prinzip verpflichtet. Die aktuelle Sammlungs-, Forschungs- und Ausstellungstätigkeit des Museums orientiert sich an einer intensiven Arbeit am Material und der Sichtbarmachung seiner Potentiale für das Aufzeigen von aktuellen gesellschaftlichen Prozessen in einem sich neu formierenden Europa.
Heute beschäftigt sich das Museum mit historischer Volkskunst und Volkskultur, mit deren aktuellen Erscheinungsformen und mit den damit verbundenen Konstruktionen einer neuen Ästhetik und wechselnder Identitäten. Es setzt sich mit historischen und gegenwärtigen Lebensstilen auseinander, mit kulturellen Äußerungen sozialer und ethnischer Gruppierungen vorwiegend im europäischen Raum.
"Die Ruine lebt!"
Das Volkskundemuseum Wien befindet sich seit mehreren Jahren in einem Transformationsprozess hin zu einem neuartigen Kultur- und Gesellschaftsmuseum. 2020 hatten wir uns in einem Zwischenjahr Zeit genommen, um konzeptionell über ein Museum der Zukunft nachzudenken. Die Zusage der Bundesregierung, Gelder aus dem EU-Aufbauplan für die Neustrukturierung des Museums und Sanierung des Gartenpalais Schönborn zur Verfügung zu stellen, lässt uns seither konkret an der Zukunft des Museums arbeiten.